Wer wir sind und was wir wollen
Wir sind eine Gruppe von Menschen, die Care-Arbeit selbst organisieren und aufwerten wollen. Wir finden es aus einer linken, feministischen und anti-kapitalistischen Perspektive notwendig, dass wir darüber sprechen, wer unter welchen Bedingungen Care-Arbeit leistet und wie diese politisch einzuordnen ist. Wir wollen eine Struktur schaffen, innerhalb derer Menschen selbst definieren können, welche Art von Care ihnen wirklich hilft.
Wir finden, eine anti-kapitalistischen Perspektive und Praxis, kommt nicht ohne eine Auseinandersetzung mit Care aus: Der (Staats-)Kapitalismus braucht schon immer unbezahlte Care-Arbeit die von irgendwem (meistens Frauen) geleistet wird, um die Menschen lohnarbeitsfähig zu halten. Das ist notwendig, damit wir Mehrwert produzieren können und das System am Laufen bleibt. Gleichzeitig wird diese Arbeit aber im Vergleich zur Lohnarbeit abgewertet. Ausserdem wird Menschen, die “nicht produktiv genug” sind, den Anspruch auf Care abgesprochen und sie werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die Zahl dieser Menschen ist immens. Von der Pflegerin mit Burnout, zu den Geflüchteten, die nicht arbeiten dürfen, bis hin zur verarmenden Rentnerin. Die Neoliberale Politik macht die Richtung klar: Kürzungen beim Sozialstaat, Erhöhung des Rentenalters und Abschiebung der «unproduktiven» Nicht-Schweizerinnen.Gleichzeitig fördert der Neoliberalismus Ideen der “Selbstverantwortlichkeit” und Individualität: Wir glauben es – was auch immer das sein mag – alleine schaffen zu müssen und dass diejenigen, die es nicht schaffen, irgendwie selbst daran schuld sind. Zusätzlich macht uns das Leben in einem kapitalistischen System früher oder später kaputt und Care-bedürftig (sei es durch ‘Berufskrankheiten’, einer total zerstörten Umwelt, enormen Stress oder dem Kummer über den Zustand der Welt). Da die meisten von uns aber von Lohnarbeit abhängig sind, fehlt uns die Zeit und die Kraft, uns um uns und unsere Freundinnen zu kümmern und die Welt so zu verändern, wie wir es wollen.
In einer neoliberalen Leistungsgesellschaft haben wir also gelernt bekommen, dass gepflegt werden, sich um jemenschen zu kümmern oder leistungsunfähig im Bett zu liegen, weniger Wert hat, als (produktiv) zu arbeiten, und selbstständig und souverän in einer mitgestalteten Welt, von einem Ort zum Anderen zu hetzen.
Wir alle wissen zwar, dass ohne Kümmern und Sorgen keiner von uns genug alt hätte werden können, um sich über dies überhaupt Gedanken zu machen. Wir wissen, dass wir mit grosser Wahrscheinlichkeit früher oder später wieder darauf angewiesen sind, dass sich Menschen um uns kümmern. Dennoch fällt die Einbettung, dieses wichtigen Teil des Mensch-seins, in unseren Alltag schwer: Ständig so viel zu tun, ständig Lohnarbeit und tausend Dinge die erledigt werden sollten, ständig so viele Freundinnen, denen es gerade nicht so gut geht, ständig kleine und grosse Körper die gefüttert, gestreichelt, massiert, gewaschen und zu Bett gebracht werden sollten. Ständig Schuldgefühle, wenn es uns nicht “gut genug” geht um zu erledigen, was wir von uns selbst verlangen.
Wer Care-Arbeit leistet und zu welchen (un-)bezahlten Bedingungen, ist genau so politisch wie die gesellschaftliche Bestimmung derjenigen, die Anrecht auf eine bestimmte Art von Care-Leistungen haben oder welche Wertungen diesen Tätigkeiten zugeschrieben wird.
Wir wünschen uns ein Zusammenleben, in dem es normal ist, füreinander da zu sein und in dem Care-Arbeit dem Zeit- und Spardruck entzogen ist und auf Care angewiesenen Menschen mit Respekt begegnet wird.
Für uns kommt dem “uns-umeinander-kümmern” mindesten genau so viel (zeitliche) Beachtung zu, wie anderen politischen Tätigkeiten. Dies einerseits, weil es gesellschaftlich notwendig ist, und andererseits, weil wir uns eine gesellschaftliche Utopie vorstellen, in der es (wieder) selbstverständlich ist, dass sich die Menschen gegenseitig unterstützen und füreinander da sind. Wenn wir versuchen, uns in anderen Bereichen selbst zu organisieren/ zu versorgen, sollten wir auch im Care-Bereich eine Befreiung von staatlichen und kapitalistischen Strukturen anstreben.
Indem wir unsere (Care-)Arbeit kollektiv organisieren, entziehen wir uns nicht nur der ideologische Basis des Kapitalismus, dass nur potentiell «produktive» Menschen Wert sind, Care zu empfangen, sondern wir nehmen auch dem Kapitalismus die materielle Basis, nämlich das Geld und unsere Arbeitskraft. Indem wir unsere eigene Strukturen aufbauen (insbesondere auch in Kombination mit einer gemeinsamen Ökonomie) in denen sämtliche Formen von Arbeit ihren Platz haben, müssen wir selber weniger für Kapitalist*innen Lohnarbeiten oder sind weniger stark von der Doppelbelastung der Lohn- und Care-Arbeit betroffen.
Dabei befinden wir uns in einem komplizierten Spannungsfeld, da die Einforderung von notwendigen Care-Strukturen innerhalb des bestehenden Systems (Kinderbetreuung, (bessere) Löhne für Arbeitnehmer_innen im Care-Bereich, Accessibility) politisch wichtig waren und sind. Wir müssen uns mit diesen Spannungen und Widersprüchen immer wieder auseinandersetzen und uns diesen Kämpfen gegenüber solidarisch zeigen, während wir unsere autonome Care-Struktur gestalten.
Politische Arbeit ist hart- wir alle brauchen Care
oder: Für mehr Care in der Linken Szene
Insbesondere als links eingestellte Person, sind wir oftmals einem gewissen “Sozialisierungs- Druck” ausgesetzt. Damit ist gemeint, dass von Seiten der Mehrheitsgesellschaft eine Erwartungshaltung besteht, an die wir uns anpassen sollten (z.B. Karriere machen, erfolgreich sein, viel arbeiten, viel Geld verdienen, eine Kleinfamilien gründen, gut gelaunt sein, Körperlich fit und gesund sein, flexibel und innovativ durch die Welt gehen). Sich diesem Erwartungsdruck ständig zu widersetzen, ist anstrengend, vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten von uns von klein auf gelernt haben, die gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellungen zu verinnerlichen und ihren Lebensalltag danach auszurichten. Dies führt zu inneren Spannungen, die es schwierig machen, stabil zu bleiben. Ausserdem kann eine emanzipative und revolutionäre Auseinandersetzung mit der Welt herausfordernd sein: Ständig zu sehen, was schief läuft und sich bewusst zu sein, dass es viele Menschen gibt, die in eine ganz andere politische Richtung wollen, kann belastend sein. Und auch ein subversives Leben in besetzten Häusern und im ständigen politischen Kampf kann anstrengend und auszehrend werden.
Unser Ziel ist es, dass das «Care Netz» hier unterstützend und emanzipatorisch wirken kann, um diesen Druck zu durchbrechen und unseren Lebensalltag nach unseren eigenen Idealen und Wertvorstellungen zu gestalten.
Auch in der linken Szene findet Care-Arbeit oft nicht viel Anerkennung, bleibt unsichtbar oder wird erst als solche erkannt, wenn sie nicht gemacht wird (weil’s an der Sauvage dann keine Sandwichs gibt oder ein Mensch nicht an die Sitzung kommt, weil sie*er depressiv ist oder auf jüngere Menschen aufpassen muss). Ausserdem wird der Care-Arbeit häufig der politische Wert abgesprochen, sie ist bloss das, was irgendwie gemacht werden muss, damit das wirklich Wichtige überhaupt passieren kann.
Trotz einer Leistungskritik finden wir immer wieder (verinnerlichter) Leistungsdruck: Neben der Lohnarbeit verlangen wir von uns, Spass zu haben und politisch aktiv zu sein, die Dinge in die Hand zu nehmen und Veränderung herbeizuführen. Das “Wir-Gefühl” entsteht durch Anwesenheit an Sitzungen, Demos, Partys und wer dem Polittempo nicht folgen kann, geht irgendwo auf dem Weg zur Revolution verloren und fällt aus unseren Strukturen. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Werte wir in unserer politischen Arbeit reproduzieren und wer, wieso, wie durch unsere Praktiken ausgeschlossen wird.
Wir wollen all jenen eine Stimme geben, die gerne bei gesellschaftlichen Utopien mitwirken wollen. Die jedoch oftmals zu erschöpft, traurig, schmerzgeplagt, aufgewühlt, etc. sind, um sich permanent aktiv einzubringen und reibungslos zu “funktionieren”. Wir wollen zusätzliche Formen von Politik finden, bei denen wir auch an unseren dunklen Tagen mitmachen können.
Mit eigenen (momentanen) Ressourcen und Grenzen
Wir sind zwar aus verschiedenen Gründen kritisch gegenüber dem konventionellen Gesundheitssystem. Nichts desto trotz ist es für uns in Ordnung, Hilfe von “professionellen Therapeutinnen” und Institutionen in Anspruch zu nehmen. Dies ist nicht nur eine “Ressourcenfrage” unsererseits (wir können (noch?) nicht alles tragen) – sondern aus der Erfahrung entstanden, dass es sehr fähige Therapeutinnen gibt, die innerhalb von diesem System arbeiten.
Zudem sind wir uns bewusst, dass es für systemkritische Therapeut*innen finanziell kaum machbar ist, ganz systemunabhängig zu lohnarbeiten.
Ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir bei der Unterstützungsarbeit unsere eigenen Grenzen achten. Es kann also nicht darum gehen, dass wir uns bis zur eigenen Selbstaufopferung selbst ausbeuten. Für uns ist klar, dass wir nicht einfach unreflektiert Gratisarbeit leisten und somit die mit unbezahlter (Frauen-)Care-Arbeit verbundene Unterdrückung reproduzieren wollen. Stattdessen wollen wir Care-Arbeit immer wieder kritisch feministisch reflektieren und als Empowerment für uns und unsere politischen Ziele nutzen. Die Frage ob unsere unbezahlte Care-Arbeit in Zukunft selbstorganisert entlöhnt werden soll (z.B. durch Sichtbarmachung in einer gemeinsamen Ökonomie, Spenden, Solikonto), haben wir noch nicht abschliessend geklärt.
Unsere Auseinandersetzung mit selbstorganisierter Care ist ein fragender Prozess. Wir haben keine abschliessenden Antworten auf Widersprüche und Ängste. Wir wissen vieles noch nicht und freuen uns auf eine spannende Auseinandersetzung mit uns und all den Widersprüchen.
Wenn du auch ab und zu Care benötigst und/oder dir vorstellen kannst, Care-Arbeit zu geben und mit uns in Richtung Utopie gehen willst wo Care selbstverständlich und Herrschaft abgeschafft ist, dann mach doch bei unserem Care-Netzwerk mit! Oder gründet zusammen eine eigene Struktur!